Zukunftsperspektiven des Vereins im Mittelpunkt
«Wohin?» lautete das Thema der SVOI-ASOI-Jahrestagung 2019 am Samstag, 1. Juni, in Nottwil. Die Aufmerksamkeit galt diesmal dem Verein selber. In welche Richtung soll er sich entwickeln? Ist er überhaupt noch nötig? Und, vor allem, gibt es noch Leute, die «am Karren ziehen» wollen? – Die Tagung machte Hoffnung.
Mit ihrem Problem ist die SVOI-ASOI nicht allein. Unzählige Vereine in der Schweiz haben damit zu kämpfen, dass sich Vakanzen im Vorstand kaum noch beheben lassen. Auch bei der SVOI-ASOI ist die Arbeitslast für die verbliebenen Vorstandsmitglieder zu gross geworden. Wie also soll es weitergehen? 40 Personen machten sich an der Tagung im Guido A. Zäch Institut in Nottwil daran, das Problem aufzuarbeiten und realistische Lösungsansätze zu entwickeln.
Ex-Präsidentin Therese Stutz Steiger bekräftigte in ihrer Begrüssung, dass man den Verein keineswegs schlittern lassen wolle: Schliesslich hat ja auch eine Umfrage im Vorfeld ergeben, dass eine deutliche Mehrheit der Teilnehmenden die SVOI für nötig bzw. eher nötig hält.
Für die Suche nach Perspektiven konnte Christine Morger von der Rheumaliga Bern als neutrale Tagungsleiterin gewonnen werden. Therese Stutz begrüsste die diplomierte Sozialarbeiterin HFS herzlich und freute sich darüber, dass die Rheumaliga Bern, bei der Therese Stutz Mitglied ist, ebenfalls ein Interesse am Weiterbestehen des Vereins habe. Mit ihrem vielfältigen Erfahrungsschatz im Beratungs- und Vernetzungsbereich sollte Christine Morger in der Folge prozessbegleitend durch den Tag führen. Sie gab den Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmern Inputs, regte sie mit Fragen an und motivierte sie dazu, Ideen zu entwickeln.
Motivation als treibende Kraft
Zum Anfang ging Christine Morger zunächst auf ihren persönlichen Bezug zur Selbsthilfe ein. In Bezug auf das Tagungsthema stellte sie ihren Ausführungen ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry voran: «Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern ermöglichen.» In ihrem Referat zeigte sich auf, welch grosse Bedeutung der Motivation zukommt – sowohl im eigenen Leben wie auch bei der Sozialarbeit. Ein Unternehmen stehe und falle mit der Motivation.
Nach einem ersten kurzen Austausch darüber, was für die Teilnehmer selber die Motivation war, an dieser Tagung teilzunehmen, widmete sich Christine Morger motivationsfördernden Strategien. Es sei wichtig, Energiespender zu erkennen und dafür zu sorgen, dass eine gute Balance zu den Energiefressern bestehe. Als Energiespender wurde von den Tagungsteilnehmern zum Beispiel Humor, Freude, Natur und Ferien genannt. Christine Morger rief die Zuhörerschaft dazu auf, sich Ziele zu setzen (auch Zwischenziele), und zwar solche, die zu einem passten. Diese Ziele müssten herausfordernd, aber erreichbar sein.
Gruppenarbeiten zur SVOI-Zukunft
Nach dem Motivationsexkurs und -schub am Vormittag ging es für die Mitwirkenden im Anschluss an das Mittagessen an die eigentliche Teamarbeit. Vier Workshop standen zur Auswahl. Die Themen/Fragestellungen waren dabei sehr unterschiedlich und offen gesetzt und liessen einigen Interpretationsspielraum. Hatte sich die eine Gruppe etwa mit dem «Lebenspanorama» des Vereins zu befassen und warf einen Blick in die Geschichte des Unternehmens SVOI-ASOI, arbeitete die andere eine Liste mit Fragen zur Motivation ab. Wieder eine Gruppe widmete sich im Rahmen der «Walt-Disney-Methode» Visionen für den SVOI-ASOI und eine vierte Gruppe arbeitete unter dem Titel «Lebenszyklus Unternehmen» Vorschläge aus.
Im Plenum wurde anschliessend das «Extrakt» der Diskussionen in den Workshops vorgestellt. Aus allen Gruppen gab es zahlreiche Denkanstösse. Dass die Stellungnahmen und Lösungsbeiträge letztlich nicht überall gleich konkret ausfallen konnten, war klar und entsprach dem jeweiligen Gruppenthema. Mehrfach kamen die Workshops auch zu gleichen oder ähnlichen Ansätzen.
Workshop 1
Mit der «Walt-Disney-Methode», bei der in einer Gruppe Lösungsansätze mithilfe des Rollenspiels entwickelt werden, bearbeiteten die Teilnehmenden dieses Workshops verschiedene Visionen. Dies führte schliesslich zu recht klaren Vorschlägen für die Zukunft des Vereins.
Als erste Vision wurde der Aufbau einer digitalen Plattform angeregt, damit künftig alle Informationen über das digitale Netz vermittelt werden könnten. In der Folge brauche es nurmehr einen kleinen, reduzierten Vorstand und der direkte Personenkontakt bestünde nur noch in minimaler Form.
Die zweite Vision ging fast vom Gegenteil aus: Der Vorstand wäre zu vergrössern, damit die gesamten Aufgaben, die ein Verein zu bewältigen hat, auf mehr Leute verteilt werden könnten. Gleichzeitig würde aber auch in diesem Fall eine digitale Plattform angeschlossen, allerdings in geringerem Umfang als bei der ersten Vision.
Zuletzt fokussierte diese Arbeitsgruppe auf eine konkrete Grundstruktur, die sie den Tagungsteilnehmern unterbreitete: Die SVOI-ASOI arbeitet mit einem verhältnismässig kleinen Vorstand, dem zwei Arbeitsgruppen angeschlossen sind. Die eine organisiert und unterhält eine digitale Plattform, die andere ist für die «Face-to-Face-Ebene» zuständig. Sie organisierten etwa die Tagung oder andere Begegnungen. Auch die Beratungsfunktion wäre hier zugeordnet.
Im Wissen darum, dass eine solche Grundstruktur fürs Erste im Prinzip keine Vereinfachung bedeutet, sondern eher das Gegenteil, ergänzte die Gruppe ihren Vorschlag mit weiteren Ideen: So sollten beispielsweise die Pflichtenhefte zwecks Entlastung der einzelnen Vorstandsmitglieder generell überarbeitet und verschlankt werden. Die Aufgabenverteilung solle sich zudem zugunsten der Motivation stärker danach ausrichten, was die Leute gern machen.
Workshop 2
Das Thema der Motivation verfolgte eine weitere Gruppe anhand eines Fragenkatalogs. Was motiviert überhaupt zur Mitwirkung in der SVOI-ASOI, zur Teilnahme an einer Jahrestagung? Der Austausch mit anderen (Gleichgesinnte, Betroffene, Ärzte), das Gemeinschaftsgefühl, der Zusammenhalt, aber auch die Anerkennung wurden genannt. Besonders willkommen sind aber auch fachliche Erkenntnisse, wobei die Vernetzung mit Fachleuten/Ärzten als besonders wichtig hervorgestrichen wurde. Ins gleiche Kapitel gehören generell Informationen für Eltern von Kindern mit OI, die für die Betroffenen von grösstem Wert und unverzichtbar seien. Neben Interesse und Zeit sind fachliche und personelle Unterstützung nötig, damit man sich (für eine Gemeinschaft) engagieren kann. Zu sehen, dass die Gemeinschaft wächst und man neue Mitglieder gewinnt, ist der Motivation förderlich.
Zielgruppe für die weiteren Aktivitäten des Vereins bleiben aus Sicht dieser Arbeitsgruppe Personen mit OI und deren Umfeld. Bei der Jahrestagung stehe als Ziel die Information und der persönliche Austausch im Vordergrund, wobei festgehalten wurde, dass als Variante allenfalls auch ein «Abspecken» der Tagung möglich wäre (zum Beispiel jeweils nur ein Referat im Programm). Auf jeden Fall müsste die Arbeitslast des Vorstands auf mehrere Schultern verteilt und Aufgaben stärker delegiert werden. Für begrenzte Projektarbeit liessen sich sicher mehr Leute gewinnen als für ein Vorstandsmandat. Um die Fähigkeiten, das Potenzial der Mitglieder zu nutzen, müssten aber die Anforderungsprofile definiert werden und bekannt sein. Die Zeit sei knapp, der Handlungsbedarf sei dringend, Massnahmen müssten so schnell wie möglich getroffen werden.
Workshop 3
Im Workshop «Lebenszyklus Unternehmen» befassten sich die Teilnehmer zunächst mit dem Ist-Zustand der SVOI-Angebote. Dabei kamen sie zum Schluss, dass als Sofortmassnahme unbedingt jemand die Betreuung des Auftritts in den Sozialen Medien (Facebook) übernehmen und auf den neusten Stand bringen solle. Auch die Auflösung des Vereins, die Null-Lösung, sowie eine «Sparflamen-Lösung mit sehr abgespecktem Sekretariat und Dienstleistungen machte diese Gruppe zum Thema, erkannte darin aber viele Nachteile.
Als Ziele für die nächsten fünf Jahre schälten sich heraus: Nur noch ein minimales Pflichtenheft für den Vorstand. Damit der Verein trotzdem noch attraktiv bleibt, soll der Vorstand durch Arbeitsgruppen und Mitglieder unterstützt werden. Die Vereinsmitglieder sollten ins Zentrum rücken und dazu ermuntert werden, sich verstärkt einzubringen. Durch aktivere Mitglieder würde auch der Vorstand entlastet. Zum Beispiel könnte an der Jahrestagung als fixes Element stets auch gleich die Themensuche für die nächste Tagung stattfinden. Zu jedem Thema würde dann eine Arbeitsgruppe gebildet. Übernehme ein Thema niemand, finde es auch nicht statt.
Als Massnahme wurde die unverzügliche Erarbeitung eines Konzepts empfohlen. Zu diesem Zweck solle sich sofort eine Arbeitsgruppe bilden.
Workshop 4
Ganz im Sinne des Zitats «nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft» schaffte es die kleine Gruppe im Workshop «Lebenspanorama», in beschränkter Zeit die über 30-jährige Vereinsgeschichte aufzuarbeiten. Sie bot einen wertvollen Einblick in die Entwicklung des Vereins seit dem Start mit einer Interessengemeinschaft 1980. Wichtige Eckwerte wurden benannt, Erfolge und freudige Ereignisse ebenso wie Tiefpunkte und erschwerende Faktoren aufgeführt – bis hin zu den aktuellen Nachfolgeproblemen. Die ausgezeichnete grafische Einordnung und Darstellung der einzelnen Ereignisse in den positiven oder negativen Bereich machte deutlich, dass über den gesamten Zeitraum hinweg die positiven Aspekte in der Vereinsgeschichte doch klar überwiegen.
Nach den Präsentationen der Arbeitsgruppen waren die Tagungsteilnehmer aufgerufen, auf den Plakaten der einzelnen Workshops jene Aussagen und Ideen mit einem Kleber zu versehen, die ihnen am meisten zusagen. Jede Person erhielt drei Kleber. Tagungsleiterin Christine Morger bekräftigte dazu nochmals, dass diese Veranstaltung primär ein Input sein solle, auf dessen Basis der Verein weitere Schritte planen könne. Die Kleber ermöglichten dabei eine optisch erkennbare Priorisierung.
Vereinsmitglieder mehr einbinden
Was kam nun bei den Tagungsteilnehmern besonders gut an? Am meisten Punkte fanden sich schliesslich bei der Gruppe «Lebenszyklus Unternehmen». Ihre Vorschläge zu den Zielen in den nächsten fünf Jahren fanden Zuspruch (Nur Minimalaufgaben für den Vorstand, Vereinsmitglieder stehen im Zentrum, unterstützen den Vorstand und übernehmen Aufgaben). Viele Punkte gab es für den Aufbau einer digitalen Plattform – am Herzen liegt den Mitgliedern aber gleichzeitig auch «Face to Face», der persönliche Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Dass speziell der Austausch untereinander, die Gemeinschaft und die Information über fachliche Erkenntnisse zum Mitwirken im SVOI motivieren, wurde ebenfalls deutlich.
Tagungsleiterin Christine Morger machte persönlich als zentrale Themen die Entlastung des Vorstands, die Optimierung der Ressourcen und Minimierung organisatorisch-administrativer Aufgaben aus. Die Resultate der Tagung seien als Initialzündung zu betrachten. «Man kann nicht an einem einzigen Tag pfannenfertige Lösungen haben», sagte sie.
Mitwirkende gefunden
Für eine ausgiebige Diskussion der Ergebnisse blieb an der Jahrestagung angesichts der fortgeschrittenen Zeit nurmehr wenig Raum. Dabei stellte sich aber doch heraus, dass manche Vereinsmitglieder nicht abgeneigt wären, in einem gewissen Rahmen, beispielsweise in definierten Projekten, mitzuwirken oder bei der nun folgenden Erarbeitung des weiterführenden Konzepts mitzuarbeiten. Um das vorhandene Potenzial nutzen zu können, wurde eine Vernetzungsplattform angeregt.
Auf Initiative aus dem Plenum hin lag schliesslich noch an der Tagung eine Liste vor. Über ein Dutzend Freiwillige erklärten sich bereit, an der Weiterentwicklung und/oder in einzelnen Bereichen mitzumachen.
Dass sich so viele Leute meldeten, nahm Tagungsleiterin Christine Morger mit Freude zur Kenntnis. Für die weiterführende Arbeit sei ein Zeitplan wichtig, gab sie der SVOI-ASOI mit auf den Weg, man müsse festlegen, in welchem Zeitrahmen das Konzept erarbeitet sein soll.
Auch Ex-Präsidentin Therese Stutz zeigte sich «froh darüber, was da vorliegt». Das Ergebnis, dass Bewegung in die Frage der Vereinsstruktur kommt und sich Leute aus den Reihen der Mitglieder in einer solchen Arbeitsgruppe engagieren wollen, nahm sie mit an die Mitgliederversammlung vom folgenden Tag.
Weiter ging es am Samstagabend mit einem Apéro und einem Nachtessen. Nach den konzentrierten Arbeitsstunden am Tag, stand hier wieder die Geselligkeit im Zentrum: Der persönliche Austausch untereinander ist für die Mitglieder ein hoch geschätzter Bestandteil der Vereinslebens. Davon war in den Workshop zuvor und im Plenum wiederholt zu hören.
Bettina Talamona